Einleitung: Ich erinnere mich noch genau, als sei es erst gestern geschehen, als ich von der Schule heimkehrte, und von meinen Eltern das lang ersehnte Buch “Geigen und Geiger”  von Franz Farga geschenkt bekam. Mein Blick viel unwiederbringlich auf das Kapitel über das Leben von Paganini, das ich gierig las: ich war davon so sehr beeindruckt, dass ich an jenem Tag weder meine Hausaufgaben, noch meine Geige geübt habe, auch wenn ich am nächsten Tag meinen Geigenunterricht hatte…

An jenem Tag war der Anfang eines langen Weges, das ich heute noch gehe. Wer war Niccolò Paganini, dieser Zauberer, bewundert, gefürchtet und auch gehasst von seinen Zeitgenossen, Komponisten wie Musikern?  Schubert, Schumann, Liszt, Heine, Hoffmann, Grillparzer, Rossini, Brahms…die größten Romantiker wurden von diesem Geiger beeinflusst, bevor er für fast zwei Jahrhunderte für seine angeblich „zu virtuose“ Musik verpönt wurde. Eine Persönlichkeit überwuchert von Mythen und Legenden, der für immer die Musikerwelt verändern würde, und den Musik-Firmament wie ein Komet überqueren sollte, und einen langen, leuchtenden Schweif hinter sich liess.

Was ist Mythos und was ist Realität? Hier ein erstes Kapitel, eine art Einleitung in eine Geschichte die mich wahrscheinlich nie loslassen wird…

Paganini während eines Konzertes in London, eine Zeichnung von McLise

“… Als Paganini am 29 März 1828 auf die Bühne stieg, war der riesige Saal überfüllt.

Das aus den besten Musikern Wiens zusammengestellte Orchester spielte zuerst die Ouvertüre zu „Fidelio“. Nach einer kurzen Pause begann ein Vorspiel im rauschenden “Allegro Maestoso”, dass sich allmählich zu einem Ritornell besänftigte.

Erst jetzt erschien Paganini lautlos auf der Bühne, groß, dürr wie ein Skelett, mit länglichem, totenblassem Gesicht, einer Adlernase, funkelnde Augen und langen Haaren, die ihm bis auf die Schultern fielen. Als er sich verbeugte, hatte es den Anschein, als wollten sich seine schlenkernden Gliedmassen vom Körper loslösen. Aber das Publikum hatte keine Zeit, sich über die phantastische Erscheinung des Künstlers lustig zu machen. Schon hatte er den Bogen angesetzt… (…) und jetzt flogen die ersten, wie mit feuriger Kühnheit ertrotzten Töne durch den Saal. Sogleich begann der Zauber zu wirken.

War das noch eine Geige die da erklang? Hatte man überhaupt bisher wahres Geigenspiel vernommen? Der Bogen schien überlang zu sein, und der Spieler liess ihn wie eine Peitsche auf die Saiten niedersausen. Oktavengänge und Dezimenpassagen in unglaublicher Schnelligkeit, mehrstimmige Läufe wie glitzernde Perlenschauer, jede Note voll und klar. Apreggien, mit der  Hälfte des Bogens und trotzdem wuchtig wie auf einer Riesenharfe ausgeführt, vor allem aber diese rasenden Passagen von Sechzentelnoten, wobei die erste Note im Pizzicato erklang, während die zweite mit dem Bogen gestrichen wurde, und das alles wie eine silberne Kaskade aufschäumend… die Zuhörer hielten den Atem an….“

Franz Farga, “Geigen und Geiger”  – 1983

„Paganini“ von Horace Vernet

Diese etwas romanhafte Erzählung enthält Einzelheiten und Beschreibungen von Zeitgenossen die an einem oder mehreren Konzerten des großen Ligurischen Meisters beigewohnt haben. Es handelte sich hierbei bestimmt nicht um Sonntagsmaler oder Klatschblattjournaliste, sondern um berühmte Persönlichkeiten seiner Zeit: so schreibt Heinrich Heine zum Beispiel ein ganzes Kapitel über Paganini in seiner Erzählung „Florentinische Nächte” und Robert Schumann verkauft gar seine Uhr und reist ganze ununterbrochene drei Tage und Nächte in der Postkutsche um bei einem, wie er selbst schreibt „unerklärlichen Konzert, in dem unsichtbare Ketten uns fesselten…“ dabei zu sein. Franz Schubert erzählt, er habe seine „Brille abgenommen, um besser die Engel zu sehen, die aus Paganini’s Geige hervortreten“. Franz Grillparzer ist am zweiten Wiener Konzert anwesend und widmed ihm ein Gedicht, Franz Liszt ist zugegen wenn nur irgend möglich, und transkibiert sämtliche Werke von Paganini frei für das Klavier. In kürzester Zeit geben selbst Skeptiker zu, dass es sich nicht um einen Schalratan handelt, sonder wirklich um ein unerklärliches Phänomen handelt, das das Violinspiel unwiederbringlich verändert, wieder-gegründet, und zu seiner noch aktuellen Form verändert hat.

Eine Karikatur von Paganini der für Hexen und Teufel spielt. Der Legende zufolge, hätte er seine Seele und die seiner Mutter (eine übrigens sehr gläubige Frau) dem Teufel versprochen um so gut das Geigenspiel zu erlernen.

Tausend Legenden waren um Paganini herum geboren worden. Man sagte zum Beispiel, er hätte das Geigenspiel so erlernt, weil er 10 Jahre in eine Zelle eines italienischen Gefängnisses verbracht hätte, nachdem er seine Geliebte ermordet hätte, oder er hätte seine Seele und die seiner Mutter (eine übrigens sehr gläubige Frau) dem Teufel versprochen. Man sagte ihm auch nach er sei ein überaus furchtbarer Geschäftsmann gewesen, ein echter Geizhals, der unmögliche Preise für seine Konzerte festsetzte. Jene Leute die dies Berichten vergessen jedoch auch seine unzähligen Benefiz-Konzerte und besuche in Hospizen und Armenhäuser zu erwähnen, die Paganini ein Leben lang tat…

Man sagte ihm auch nach, er spiele gerne Nachts in Friedhöfen, das seine extreme Magerkeit der Beweis der Schwindsucht sei, dass ihm nicht mehr als ein paar Monate übrigbleiben würden, dass er gar schon Tot sei, dass er deswegen mit verdunkelten Brillen auf die Bühne trat, um ja die roten Augen des Teufels zu verstecken, der in seinem Körper schlummerte…

Tatsächlich züchtete er diese Legenden sehr, dies gehörte zu seiner öffentlichen Persönlichkeit. Er war fast sein ganzes Leben in Italien geblieben, verbrachte jedoch die letzten 12 Jahre seines Lebens in einem Europäischem Triumphzug, während dem er die Menschenmengen wörtlich mit sich riss: alles war „à la Paganini“, wie mehrere damalige Tagblätter davon berichten. Menü, Nachtisch, Frisuren, Kleidung, Karikaturen… Heute könnte man diese Monomanie des Publikums leicht mit dem Enthusiasmus für einen Star oder ein Hashtag auf Twitter vergleichen.

Nur wenige haben das Privileg gehabt Paganini näher kennenlernen zu können, und verstanden was für ein anspruchsloser Mensch er eigentlich war, wie sehr er sich damit abmühte um die Legenden um seine Person aufrecht zu erhalten. Unter seinen engsten Freunden war der genuesische Anwalt Luigi Germi, mit dem er einen über zwanzigjährigen Briefwechsel austauschte, und niemand weniger als Gioacchino Rossini, mit dem er auch als Dirigent in der Uraufführung mehrerer seiner Opern zusammenarbeitete.

Paganini’s Brille

Die berühmte „agenda rossa“ von Paganini…

Vom Charakter her sehr Genuesisch war Paganini von Natur her sehr Misstrauisch und verschlossen. Nur wenigen war der Blick hinter den Kulissen erlaubt, so haben nur wenige genau berichten können: von seiner Melancholie, seiner Einsamkeit, seiner Krankheit und sein Leiden, seiner bedingungsloser Liebe für seinen einzigen Sohn, den er liebevoll Achillino nannte, von seiner Großzügigkeit, von seiner Liebe zur italienischen Oper und dem Bel Canto, der Kammermusik – besonders Beethovens Streichquartette – sein besonderes Interesse für junge Musiker und Komponisten, seine Zuneigung für gute (genuesische) Küche, seine stetige Sorge für seine Mutter…

Während der letzten 12 Jahre seines Lebens, die Ruhmreichsten, hat er mit seiner Gesundheit seinen Erfolg bezahlt, in dem er fast 300 Konzerte pro Jahr gab, was eigentlich fast unglaublich ist, wenn man bedenkt das es damals viel schwerer war zu Reisen, da es weder Zug noch Flugzeuge gab.

Mit ihm war immer seine Geige, die wertvolle Guarnieri del Gesù von 1742, dass er “Il Cannone” (die Kanone) genannt hatte, eine Satteltasche mit Partituren und einige Erinnerungen. Man erzählt auch von seiner „Agenda Rossa“, ein Büchlein in dem er alles hineinschrieb, Informationen, Bemerkungen, Berechnungen, aber auch einige Worte und Gedichte, hineingeschrieben von den liebsten Freunden, die beunruhigt seine heimfahrt abwarteten, einige Hausrezepte gegen kleinere Beschwerden, Kochrezepte von „zu Hause“, und ein kleines Stück Spitze des Hochzeitskleid seiner Mutter. Seine Brille, einige Bücher, ein Reisekoffer gefüllt von dem Nötigsten, während er von Stadt zu Stadt unermüdlich reiste, ohne sich je einmal Ruhe zu gönnen…

Nach seinem Tode haben die Legenden sein Werk überwuchert, und somit seine Kompositionen zu einfacher, „ultra virtuoser“ Musik ohne wahren Interesse erniedrigt. Mehr als zwei Jahrhunderte später ist es an der Zeit  die Wahrheit zu suchen und Legende von Realität zu trennen um Paganini seinen verdienten Platz in der Musikgeschichte zurück zu geben.

Dieser Artikel ist der Erste einer Reihe die ich in den nächsten Monaten schreiben werde.

Ich möchte damit, über den einfachen Historischen Daten und den Technischen Fakten hinaus, begreifen wer genau Niccolò Paganini war: große Persönlichkeit die die Violine revolutioniert hat, vom geigerischen wie vom instrumentalen Blickpunkt her (als er zum Beispiel mit Jean Baptiste Vuillaume zusammengearbeitet hat), Genueser, Romantiker, vom Bel Canto und der Italienischen Oper inspiriert, Urheber einer Revolution, Anreger seiner Zeitgenossen, fast ein echter Held des “Sturm und Drang”, immer auf der Suche nach dem unerreichbaren Ziel…

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